Ein Aufruf zur Vernunft am 60. Jahrestag des Russell-Einstein Manifests
60 Jahre nachdem Albert Einstein und Bertrand Russell ihr Manifest über die wachsende Gefahr eines Weltkriegs veröffentlicht hatten, sieht sich der Globus erneut mit der Möglichkeit eines Atomkriegs konfrontiert – zusammen mit der Bedrohung durch den Klimawandel
(von Emanuel Pastreich, 9. Juli 2015)
Es war genau von 60 Jahren, als Bertrand Russell und Albert Einstein mit einer Gruppe führender Intellektueller in London zusammen kamen und ein Manifest unterzeichneten[1], in welchem sie die gefährliche Dynamik hin zu einem Krieg zwischen den kommunistischen und anti-kommunistischen Fraktionen des Globus verurteilten. Zu den Unterzeichnern dieses Manifests gehörten führende Nobelpreisträger wie Hideki Yukawa und Linus Pauling.
Sie nahmen dabei kein Blatt vor den Mund, indem sie die Drang nach Krieg und das rücksichtslose Reden vom Gebrauch nuklearer Waffen, die damals über die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion hinwegfegten, als Gefahr für die gesamte Menschheit bezeichneten. In dem Manifest wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die technologischen Fortschritte, insbesondere die Erfindung der Atombombe, die Menschheitsgeschichte verändert hatten.
Das Manifest fasste die Wahl, vor die die Menschheit gestellt wurde, in scharfen Worten zusammen:
“Hier also liegt das Problem, nackt, furchtbar und unausweichlich: Werden wir dem Menschengeschlecht den Untergang bereiten, oder wird die Menschheit auf Krieg verzichten?”
Das Russell-Einstein Manifest erzwang eine ernsthafte Neubetrachtung der gefährlichen Richtung, in die sich die Vereinigten Staaten in der damaligen Zeit bewegten und war der Beginn einer Neuausrichtung der Idee von Sicherheit, die zum Nichtverbreitungspakt von 1968 und zu den Rüstungskontrollgesprächen der 1970er Jahre führte.
Aber wir können uns heute nicht auf diesen Errungenschaften ausruhen. Die Vereinigten Staaten haben ihre gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag eingegangenen Verpflichtungen vollständig vergessen und das Wort “Rüstungskontrolle” ist aus der Diskussion über Sicherheit verschwunden. Das vergangene Jahr stand unter dem Zeichen der Konfrontation der Vereinigten Staaten mit Russland in der Ukraine bis zu einem Ausmaß, dass viele von der Gefahr eines nuklearen Kriegs gesprochen haben.
Als ein Ergebis dessen gab Russland am 16. Juni dieses Jahres bekannt, dass es 40 neue Interkontinentalraketen[2] in Betrieb nehmen wolle, als Antwort auf die Investitionen der Vereinigten Staaten in die Nachrüstung der U.S.-Nuklearstreitkräfte während der vergangenen zwei Jahre.
Ähnliche Spannungen sind zwischen Japan und China im Disput über die Senkaku/Diaoyutai-Inseln und zwischen den Vereinigten Staaten und China über das Südchinesische Meer aufgekommen. Diskussionen über die Möglichkeit eines Kriegs mit China tauchen mit zunehmender Häufigkeit in den westlichen Medien auf, und zutiefst verstörend ist dabei ein klarer Drang hin zur Militarisierung der amerikanischen Beziehungen mit Asien.
Aber in der heutigen Zeit werden die Gefahren eines nuklearen Kriegs ergänzt durch eine gleichwertige oder sogar noch größere Bedrohung: den Klimawandel. Selbst der Kommandant des Pazifikkommandos der Vereinigten Staaten (“United States Pacific Command”), Admiral Samuel Locklear, teilte dem “Boston Globe” im Jahr 2013 mit[3], dass der Klimawandel “allerhöchstwahrscheinlich diejenige Sache ist…die die Sicherheitsarchitektur lähmen wird, wahrscheinlich mehr als andere Szenarien, über die wir oft sprechen.”
Jüngst gab Papst Franziskus eine detaillierte und unverblümte Enzyklika heraus, die sich der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel widmet und in der er erklärt:
“Es ist bemerkenswert, wie schwach die internationalen Reaktionen in Antwort [auf den Klimawandel] bisher gewesen sind. Daraus folgend ist das Beste, das man erwarten kann, oberflächliche Rhetorik, sporadische Akte der Philanthropie und ohne wirkliches Interesse daherkommende Bekundungen der Sorge um die Umwelt. Während jeder ernstgemeinte Versuch von Gruppen innerhalb der Gesellschaft Wandel herbeizuführen, als eine auf romantisierten Illusionen basierende Belästigung oder als zu umgehendes Hindernis betrachtet wird.”
Als der 60. Jahrestag des Russell-Einstein Manifests näher rückte, wurde ich zunehmend verstört in Anbetracht der vollständigen Untätigkeit unter den am besten Gebildeten und den Gut-Vernetzten im Angesicht eines der gefährlichsten Momente in der modernen Geschichte, und vielleicht in der menschlichen Geschichte überhaupt, weitaus düsterer als das, dem sich Russell und Einstein gegenüber sahen. Nicht nur sehen wir uns einer zunehmenden Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Kriegs gegenüber; auch gibt es Anzeichen dafür, dass der Klimawandel schneller voranschreitet als zuvor erwartet. Das “Science Magazine” hatte jüngst eine Studie veröffentlicht[4], die eine massive Zerstörung im Bereich der Meere vorhersagt, falls wir den gegenwärtigen Trends folgen, und selbst die Gletscher der südantarktischen Halbinsel – die einst für die stabilsten gehalten wurden – schmelzen in rapider Geschwindigkeit[5]. Und trotzdem sehen wir von den Großmächten noch nicht einmal die oberflächlichsten Anstrengungen um dieser Bedrohung zu begegnen.
Ich sprach informell über meine Sorgen mit meinem Freund John Feffer, Direktor der Zeitschrift “Foreign Policy in Focus” mit Sitz in Washington D.C. und Partner des “Asia Institute” in Seoul, Korea. John hat in großem Umfang über die Erfordernis geschrieben, den Klimawandel als die primäre Sicherheitsbedrohung zu identifizieren und hat auch eng mit Miriam Pemberton vom “Institute for Policy Studies” zusammengearbeitet in der Bemühung, die Vereinigten Staaten von der Militärwirtschaft wegzubewegen. Gemeinsam stellten wir eine etwas aktualisierte Version des Manifests zusammen, die den Klimawandel betont (ein Problem, das im Jahr 1955 noch nicht verstanden wurde) und machten daraus ein Dokument, das nicht nur von Nobelpreisträgern, sondern von jedem Menschen auf der Welt unterzeichnet werden kann.
Ich sprach auch mit David Swanson, einem Freund aus meinen Tagen, als ich mit meiner Arbeit den Wahlkampf von Dennis Kucinich für dessen Nominierung durch die Demokratische Partei im Jahr 2004 unterstützte. David steht heute im Dienst als Direktor von “World Beyond War” und ist tiefgründig engagiert in der Arbeit um einen Konsens zu schaffen, in dem Krieg nicht länger eine Notwendigkeit für die menschliche Gesellschaft darstellt. Er bot an, das Manifest einer breiten Gruppe von Aktivisten vorzustellen und wir einigten uns darauf, dass “Foreign Policy in Focus”, das “Asia Institute” und “World Beyond War” gemeinsam das neue Manifest mittragen.
Schließlich sendete ich den Entwurf an Noam Chomsky, der bereitwillig anbot das Manifest zu unterzeichnen und dazu den folgenden Kommentar schrieb:
“Im vergangenen Januar wurde die berühmte “Atomkriegsuhr” zwei Minuten näher an Mitternacht herangerückt, so nahe wie nicht mehr seit einer großen Kriegsangst vor 30 Jahren. Die begleitende Erklärung, die davor warnt, dass die beständige Bedrohung durch nuklearen Krieg und “ungehinderten Klimawandel” die menschliche Zivilisation ernsthaft bedrohen, ruft die düstere Warnung von Bertrand Russell und Albert Einstein an die Menschen vor 60 Jahren in Erinnerung und ruft sie auf, eine Entscheidung zu treffen, die “nackt, furchtbar und unausweichlich [ist]: Werden wir dem Menschengeschlecht den Untergang bereiten, oder wird die Menschheit auf Krieg verzichten?”
In der gesamten Menschheitsgeschichte gab es niemals eine Entscheidung wie diejenige, der wir heute gegenüber stehen.”
Im Folgenden ist die Deklaration zum 60. Jahrestag des Russell-Einstein Manifests aufgeführt. Wir möchten alle Menschen, die um die Zukunft der Menschheit und die Zukunft der irdischen Biosphäre besorgt sind, dazu ermutigen, sich den Unterzeichnern der Erklärung anzuschließen und Freunde und Familienmitglieder dazu einzuladen, ebenfalls die Erklärung zu unterzeichnen. Die Deklaration kann hier auf der “DIY RootsAction”-Website unterzeichnet werden: http://diy.rootsaction.org/p/man
Deklaration zum 60. Jahrestag des Russell-Einstein Manifests:
(9. Juli 2015)
In Anbetracht des wachsenden Risikos, dass in zukünftigen Kriegen Waffen, nukleare und andere, eingesetzt würden, welche die fortschreitende Existenz der Menschheit gefährden, drängen wir die Regierungen der Welt darauf zu verstehen und öffentlich anzuerkennen, dass ihre Ziele nicht durch einen Weltkrieg vorangetrieben werden können. Und wir fordern sie dazu auf, infolgedessen nach friedlichen Wegen der Beilegung strittiger Angelegenheiten zwischen ihnen zu suchen.
Auch schlagen wir vor, dass alle Regierungen der Welt damit beginnen, diejenigen Ressourcen, die bislang der Vorbereitung auf destruktive Konflikte zugeteilt wurden, einem neuen, konstruktiven Zweck zukommen zu lassen: der Abmilderung des Klimawandels und dem Errichten einer neuen und nachhaltig zukunftsfähigen Zivilisation im globalen Maßstab.
Das Bestreben dieser Deklaration wird unterstützt von “Foreign Policy in Focus”, dem “Asia Institute” und “World Beyond War” und wurde am 9. Juli 2015 ins Leben gerufen.
Die Deklaration kann hier unterzeichnet werden:
http://diy.rootsaction.org/p/man
Warum ist diese Deklaration wichtig?
Genau vor 60 Jahren versammelten sich führende Intellektuelle unter der Führung von Bertrand Russell und Albert Einstein in London, um ein Manifest zu unterzeichnen und um mit diesem ihre Sorge zum Ausdruck zu bringen, dass der Kampf zwischen den kommunistischen und anti-kommunistischen Blocks im Zeitalter der Wasserstoffbombe die Vernichtung der Menschheit besiegeln könnte.
Obwohl wir bislang den nuklearen Krieg, den diese Intellektuellen fürchteten, vermeiden konnten, wurde die Gefahr lediglich hinausgeschoben. Die Bedrohung, die unlängst wieder erschienen ist zusammen mit den Konflikten in der Ukraine und im Mittleren Osten, ist nur noch düsterer geworden.
Darüber hinaus droht mit der Beschleunigung des technischen Fortschritts ein Weiterreichen von nuklearen Waffen, und vielen anderen Waffen mit ähnlicher Zerstörungsgewalt, in die Hände einer wachsenden Zahl an Nationen (und potenziell auch an “nicht-staatliche Akteure”). Zur selben Zeit haben die Erstbesitzer nuklearer Waffensysteme dabei versagt, ihren Verpflichtungen unter dem Nichtverbreitungspakt nachzukommen, welche die Vernichtung der eigenen Arsenale verlangen.
Und jetzt sehen wir uns einer existenziellen Bedrohung gegenüber, die möglicherweise in Konkurrenz zu den destruktiven Konsequenzen selbst eines umfassenden Atomkriegs treten könnte: dem Klimawandel. Die raubgierige Ausbeutung unserer Ressourcen und ein gedankenloses Vertrauen auf die Nutzung fossiler Brennstoffe haben eine noch nie dagewesene Störung unseres Klimas verursacht. Zusammen mit einem unbegrenzten Angriff auf unsere Wälder, unsere Feuchtbiotope, unsere Ozeane, und auf unsere Ackerböden – im Streben nach kurzfristigen Gewinnen – hat uns diese unhaltbare wirtschaftliche Expansion an den Rand des Abgrunds gebracht.
Das Original-Manifest von 1955 erklärt: “Wir sprechen hier nicht als Angehörige dieser oder jener Nation, dieses oder jenes Erdteils oder dieses oder jenes Glaubensbekenntnisses, sondern als Angehörige der Spezies Mensch, deren weitere Existenz zweifelhaft geworden ist.”
Die Zeit ist für uns gekommen um mit dieser entstellten und irreführenden Auffassung von Fortschritt und Entwicklung, die uns verführt hatte und uns zur Zerstörung geführt hat, zu brechen.
Intellektuelle tragen – mit den Gaben ihrer spezialisierten Expertisen und Einsichten über die wissenschaftlichen, kulturellen und historischen Wirkungskräfte, die uns in diese missliche Lage gebracht haben – eine besondere Führungsverantwortung. Zwischen einem Söldner-Heer, das ohne Rücksicht auf Konsequenzen eine Agenda der engen Interessen verfolgt, und einer oft entmutigten, in die Irre geführten, und manchmal apathischen Bürgerschaft, stehen die Intellektuellen jeder Fachrichtung und aus jedem Arbeitsgebiet.
Es liegt an uns, die rücksichtslose Beschleunigung des Rüstungswettlaufs und die kriminelle Zerstörung des Ökosystems anzuprangern. Die Zeit ist für uns gekommen, um unsere Stimmen in einer gemeinsamen Anstrengung zu erheben.
Erstunterzeichner:
Noam Chomsky, professor emeritus, MIT
Helen Caldicott, author
Larry Wilkerson, retired United States Army Colonel and former chief of staff to Secretary of State Colin Powell.
Benjamin R. Barber, president, Global Parliament of Mayors Project
Naomi Klein, author of This Changes Everything
David Swanson, director, World Beyond War
John Feffer, director, Foreign Policy in Focus
Emanuel Pastreich, director, The Asia Institute
Leah Bolger, chair, coordinating committee, World Beyond War
Ben Griffin, coordinator, Veterans For Peace UK
Michael Nagler, founder and president, The Metta Center for Nonviolence
John Horgan, science journalist & author of The End of War
Kevin Zeese, co-director, Popular Resistance.
Margaret Flowers, M.D., co-director of Popular Resistance
Dahr Jamail, staff reporter, Truthout
John Kiriakou, associate fellow, Institute for Policy Studies and CIA Torture Whistleblower
Kim Hyung yul, president of the Asia Institute and professor of history, Sook Myung University
Choi Murim, professor of medicine, Seoul National University
Coleen Rowley, retired FBI agent and former Minneapolis Division legal counsel
Ann Wright, retired U.S. Army Colonel and former US diplomat
Mike Madden, vice president, Veterans For Peace, Chapter 27 (veteran of the US Air Force)
Chante Wolf, 12 year Air Force, Desert Shield/Storm veteran, member of Chapter 27, Veterans For Peace
William Binney, former NSA technical director, World Geopolitical & Military Analysis and co-founder of the SIGINT Automation Research Center.
Jean Bricmont, professor, Université Catholique de Louvain
Das Russell-Einstein Manifest
(herausgegeben in London am 9. Juli 1955)
Angesichts der tragischen Situation, welcher die Menschheit gegenwärtig gegenübersteht, meinen wir, dass sich die Wissenschaftler zur Aussprache zusammenfinden sollten um die Gefahren, welche aufgrund der Entwicklung der Massenvernichtungsmittel entstanden sind, abzuschätzen, und um über eine Resolution im Sinne des am Ende stehenden Entwurfs zu diskutieren.
Wir sprechen hier nicht als Angehörige dieser oder jener Nation, dieses oder jenes Erdteils oder dieses oder jenes Glaubensbekenntnisses, sondern als menschliche Wesen, als Angehörige der Spezies Mensch, deren weitere Existenz zweifelhaft geworden ist. Die Welt ist voller Streitigkeiten und der titanische Kampf zwischen Kommunismus und Antikommunismus überschattet alle kleineren Konflikte.
Fast jedermann mit politischem Bewusstsein hegt feste Ansichten über eine oder mehrere dieser Streitfragen. Aber wir bitten inständig darum, derartige Meinungen zurückzustellen und sich lediglich als Mitglied einer biologischen Art zu betrachten, die eine beachtliche Geschichte hinter sich hat und deren Untergang keiner von uns wünschen kann.
Wir wollen versuchen, nicht ein einziges Wort auszusprechen, das bei einer Partei mehr Anklang finden würde als bei einer anderen. Alle schweben in gleichem Maße in Gefahr; und wenn erst die Gefahr erkannt worden ist, besteht die Hoffnung, dass man sie gemeinsam abwenden kann.
Wir müssen lernen, auf neue Art zu denken. Wir sollten nicht mehr danach fragen, welche Mittel und Wege dem militärischen Siege der von uns bevorzugten Partei offen stehen. Solche Möglichkeiten gibt es nämlich gar nicht mehr. Vielmehr stehen wir vor der Frage, auf welche Weise eine militärische Auseinandersetzung, deren Folgen für alle Beteiligten unheilvoll sind, verhindert werden kann.
Die allgemeine Öffentlichkeit und sogar viele Männer in führenden Stellungen haben sich noch nicht vergegenwärtigt, was ein Krieg mit Kernbomben bedeuten würde. Die Allgemeinheit denkt hierbei immer noch an die Ausradierung von Städten. Man hat begriffen, dass die neuen Bomben noch stärker sind als die alten und dass, während eine Atombombe seinerzeit Hiroshima vernichten konnte, nunmehr eine Wasserstoffbombe die größten Städte wie London, New York und Moskau dem Erdboden gleichmachen könnte.
Zweifellos würden in einem Wasserstoffbombenkrieg die großen Städte verschwinden. Aber das wäre nur eines der kleineren Unglücke, die uns bevorstehen würden. Wenn in London, New York und Moskau alle bis auf den letzten Mann umgebracht werden würden, dann könnte sich die Welt im Lauf von ein paar Jahrhunderten von diesem Schlag erholen. Aber heute wissen wir, vor allem seit dem Bikini-Atoll-Versuch, dass Kernbomben Verderben über ein viel größeres Gebiet allmählich ausbreiten können, als bisher vermutet worden war.
Aus zuverlässiger Quelle wird berichtet, dass man zurzeit eine Bombe herstellen kann, welche 2500mal so wirksam ist wie jene, welche Hiroshima zerstört hat. Solch eine Bombe jagt radioaktive Teilchen in die obere Atmosphäre, sofern sie in Bodennähe oder unter Wasser explodiert. Diese Teilchen sinken allmählich wieder herab und erreichen die Erdoberfläche in Gestalt tödlichen Staubes oder Regens. Mit derartigem Staub wurden seinerzeit die japanischen Fischer und ihr Fang infiziert.
Kein Mensch weiß, wie weit solche tödlichen radioaktiven Teilchen ausgestreut werden können, aber die hervorragendsten Fachleute erklären einmütig, dass es sehr gut möglich wäre, dass ein Krieg mit Wasserstoffbomben der menschlichen Rasse ein Ende setzt. Es ist zu befürchten, dass beim Einsatz vieler Wasserstoffbomben ein allgemeines Sterben anhebt – plötzlich und schnell nur für die Minderzahl, für die Majorität hingegen als qualvolle Krankheit und langsames Dahinwelken.
Viele Männer der Wissenschaft und Autoritäten der Kriegsführung haben gewarnt. Keiner von ihnen sagt, dass die übelsten Auswirkungen gewiss sind. Aber sie sagen, dass jene Folgen möglich sind, und dass niemand
sicher sein könne, dass sie nicht eintreten werden. Wir haben bis jetzt nicht finden können, dass die diesbezüglichen Ansichten der Fachleute in irgend einer Weise von ihrer politischen Einstellung oder von anderen Vorurteilen abhängen. Vielmehr haben unsere Nachforschungen erwiesen, dass hierfür der Umfang der Sachkenntnis des einzelnen Fachmannes maßgeblich ist, und dass diejenigen Männer, welche am meisten wissen, die ärgsten Befürchtungen haben.
Hier also liegt das Problem, nackt, furchtbar und unausweichlich: “Werden wir dem Menschengeschlecht den Untergang bereiten, oder wird die Menschheit auf Krieg verzichten?” Man mag der Frage nicht nähertreten, weil den Krieg abzuschaffen so schwierig sei.
Die Beseitigung des Krieges wird unangenehme Einschränkungen der nationalen Souveränität verlangen. Was aber vielleicht mehr als alles andere ein Verständnis der Situation verhindert, liegt daran, dass das Wort “Menschheit” sich so unbestimmt und abstrakt anhört. Die Menschen stellen sich kaum vor, dass die Gefahr ihnen selbst, ihren Kindern und Großkindern und nicht bloß einer dunkel empfundenen Menschheit droht. Sie können es kaum begreifen, dass sie, jeder einzelne und all jene, die sie lieben, in der ungeheueren Gefahr schweben, auf qualvolle Weise umzukommen. Und so wiegen sie sich in der Hoffnung, dass es vielleicht doch zulässig sei, mit Kriegen fortzufahren, wenn die modernen Waffen verboten werden würden.
Diese Hoffnung aber ist eine Illusion. Was für Abmachungen über die Ausschaltung der Wasserstoffbombe auch in Friedenszeiten getroffen worden sind, sie würden in Kriegszeiten doch nicht als bindend angesehen werden. Auf beiden Seiten würde die Herstellung der Wasserstoffbombe wieder aufgenommen werden, sobald der Krieg ausgebrochen ist. Denn wenn auf der einen Seite die Bombe hergestellt wird und auf der anderen nicht, dann wäre der Gegner mit den Bombers ‘unvermeidlich der Sieger.
Obgleich also ein Abkommen über den Verzicht auf Atomwaffen als Teil einer allgemeinen Abrüstung keine endgültige Lösung darstellen würde, so würde es dennoch gewissen wichtigen Zwecken dienlich sein. Erstens hat jedes Übereinkommen zwischen Ost und West insoweit etwas Gutes an sich, als es zur Entspannung beiträgt. Zweitens würde die Abschaffung der thermonuklearen Waffen, sofern jeder von der ehrlichen Durchführung auf der anderen Seite überzeugt sein kann, die Furcht vor einem plötzlichen Angriff im Stile von Pearl Habour, welche gegenwärtig beide Seiten in einem Zustand nervöser Sorge hält, verringern. Wir würden daher ein solches Übereinkommen begrüßen, wenn auch nur als ersten Schritt.
Die meisten von uns denken nicht unparteiisch, aber als Menschen müssen wir uns stets vor Augen halten: Wenn die Streitfragen zwischen Ost und West auf irgendeine Weise entschieden werden können, welche jeden Partner weitgehend zufriedenstellen kann, sei er Kommunist oder Antikommunist, Asiate, Europäer oder Amerikaner, Weißer oder Schwarzer, dann dürfen diese Streitfragen keinesfalls durch Krieg entschieden werden. Es wäre zu wünschen, dass dieses sowohl im Osten als auch im Westen eingesehen wird.
Vor uns liegt, wenn wir richtig wählen, eine beständige Ausweitung von Glück, Wissen und Weisheit. Sollen wir stattdessen den Tod wählen, bloß weil wir unsere Streitereien nicht vergessen können? Wir wenden uns als Menschen an unsere Mitmenschen: Erinnert Euch Eures Menschseins und vergesst alles andere! Wenn Ihr das vermögt, dann öffnet sich der Weg zu einem neuen Paradies. Könnt Ihr es nicht, dann droht Euch allen der Tod.
Resolution:
Angesichts der Tatsache, dass in einem künftigen Weltkrieg Kernwaffen bestimmt benutzt werden würden, und dass derartige Waffen das Fortbestehen der Menschheit bedrohen, fordern wir die Regierungen, der ganzen Welt auf, einzusehen und öffentlich einzugestehen, dass ein Weltkrieg ihren Zielen nicht förderlich sein kann. Weiterhin fordern wir sie auf, friedliche Mittel aufzufinden, um alle Streitsachen zwischen sich zu schlichten.
Max Born
Perry W. Bridgman
Albert Einstein
Leopold Infeld
Frederic Joliot-Curie
Herman J. Muller
Linus Pauling
Cecil F. Powell
Joseph Rotblat
Bertrand Russell
Hideki Yukawa
Quellen:
1) http://www.umich.edu/~pugwash/Manifesto.html (“The Russell-Einstein Manifesto”, July 09, 1955)
2) http://www.washingtonpost.com/world/russia-to-increase-nuclear-arsenal-as-us-plans-more-firepower-in-europe/2015/06/16/2e81d4f4-1445-11e5-8457-4b431bf7ed4c_story.html (“Russia to increase nuclear arsenal as U.S. plans more firepower in Europe”, June 16, 2015)
3) http://www.bostonglobe.com/news/nation/2013/03/09/admiral-samuel-locklear-commander-pacific-forces-warns-that-climate-change-top-threat/BHdPVCLrWEMxRe9IXJZcHL/story.html (“Chief of US Pacific forces calls climate biggest worry”, The Boston Globe, March 09, 2013)
4) http://www.sciencemag.org/content/349/6243/aac4722 (“Contrasting futures for ocean and society from different anthropogenic CO2 emissions scenarios”, Science Magazine, July 03, 2015)
5) http://www.sciencemag.org/content/348/6237/899 (“Dynamic thinning of glaciers on the Southern Antarctic Peninsula”, Science Magazine, May 22, 2015)
6) http://diy.rootsaction.org/petitions/manifesto-on-the-future-of-war-and-climate-change (“Manifesto on the Future of War and Climate Change”, July 09, 2015)